Sieger der Canne Blanche 2023, ist biped, ein Projekt, das auf künstlicher Intelligenz basiert, ein «intelligenter Co-Pilot für sehbehinderte Fussgänger». CEO und Gründer des Lausanner Startups ist Mael Fabien.
Auf dem zweiten Platz rangiert die Firma EAO aus Olten mit dem Produkt der Touchless-Türöffnertaste, die in Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs zum Einsatz kommen und die autonome Mobilität Sehbehinderter und Blinder im ÖV erhöhen wird.
Den dritten Platz erreichte die von der Universität St. Gallen zusammen mit dem Unternehmen afca AG entwickelte Augmented-Reality-Software head2screen, die Menschen mit starken visuellen Beeinträchtigungen bei der Arbeit am Computer unterstützt.
An einer feierlichen Preisverleihung, welche im Stadttheater Olten stattfand, wurden die drei Preisträger und auch die anderen 18 eingereichten Projekte, gewürdigt.
Die Canne Blanche ist sozusagen der «Oskar des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenwesens». Die CAB war durch ihren Mitarbeiter Roland Gruber in der Fach-Jury vertreten.
Gerald Knoll ist seit knapp vier Jahren der Leiter des Bildungs- und Begegnungszentrum (BBZ) Zürich. Der Noch-57-Jährige wohnt in Zürich im lebendigen und multikulturellen Stadtteil Wiedikon. Seine Hobbys sind Sport und Bewegung in der Natur – allem voran Mountainbiken, Badminton und Wandern. Er ist ein visueller Mensch, hat schon früh mit Fotografieren begonnen. Nach einer Zusatzausbildung erstellt er in seiner Freizeit Kurzfilme und Kurzdokumentationen. Nach der Arbeit geniesst er mit Freundinnen und Freunden das reichhaltige Angebot Zürichs und anderer Städte – insbesondere Konzerte verschiedenster Musikstilrichtungen.
NÄHER ran: Gerald, wie sieht Dein beruflicher Werdegang aus, respektive wie kam es, dass Du Leiter des BBZ Zürich geworden bist?
Bildbeschreibung: Gerald Knoll, Mitte 50, Dreitagebart am Gardasee mit den markanten, felsigen Bergen, welche ihn jedes Jahr für seine Mountainbike-Ferien anlocken.
Gerald Knoll: Das fing 1995 in Herisau an. Dort habe ich mit psychisch beeinträchtigten Menschen den Schritt in die soziale Arbeit gemacht. Als gelernter Energieelektroniker konnte ich nach meiner Ausbildung in Deutschland zum „Arbeitsagogen“ die Faszination an der Technik mit der Sinnstiftung, welche ich mit der Arbeit mit Menschen erfahre, in Kombination bringen. Nach einigen Jahren wechselte ich dann in die Jugendarbeit, zunächst ins eher ländlich geprägte Wattwil, danach in die quirlige Stadt Zürich. Dort war ich als Stellenleiter beim Aufbau des Jugendkulturlokals „Planet 5“ massgeblich beteiligt. Ein etwa 7-jähriges Intermezzo im Studentischen Zentrum der ETH Zürich brachte mir ergänzende Erfahrungen in der Eventbranche. Dann kam der Moment, an dem ich zurück in den angestammten Beruf wechseln wollte – man wird ja nicht jünger… So begann ich im Oktober 2019 als Stellenleiter des BBZ Zürich diese abwechslungsreiche Arbeit mit den tollen und faszinierenden Menschen.
NÄHER ran: An wen richtet sich denn dieses Angebot des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbandes in erster Linie?
Gerald Knoll: Wir sprechen alle blinden und sehbehinderten Menschen an, die in der Schweiz leben. Das BBZ Zürich ist im Grossraum Zürich / Aarau / Schaffhausen / Glarus so ziemlich das einzige Angebot dieser Art. Für IV-Empfänger:innen trägt der jeweilige Heimatkanton die finanziellen Kosten. Wichtig sind jedoch grundlegende Deutschkenntnisse, denn bei uns steht neben der Beschäftigung der soziale Austausch im Mittelpunkt. Wir sind quasi ein Treffpunkt für Betroffene – manche nennen das BBZ sogar ihre „zweite Familie“.
NÄHER ran: Was sind Eure Angebote im BBZ Zürich? Und welches sind die beliebtesten Angebote?
Gerald Knoll: Puh… Auch hier könnte ich eine lange Liste aufzählen. Ich mache es kurz: Bei uns handwerkeln viele Teilnehmende mit Wolle, Stoff, Filz, Holz, Speckstein, Farben, Ton. Sehr beliebt ist auch die Arbeit mit Kerzenwachs und Seifenwachs, bzw. mit Peddigrohr und Rattan. Die Besucher:innen können eigene Projekte umsetzen oder aber an der Herstellung unserer Markt-Produkte mitwirken. Ein Besucher:innen-Magnet ist zudem, dass bei uns täglich gekocht und gemeinsam gegessen wird. Das erspart dem einen oder der anderen doch so manchen Kochaufwand zu Hause – womöglich ganz alleine.
NÄHER ran: Gibt es im BBZ Zürich überhaupt noch Platz für neue Interessierte?
Gerald Knoll: Wir bieten für circa vierzig Personen die Möglichkeit bei uns ihre Freizeit zu verbringen. Aktuell haben wir dafür noch freie Kapazitäten. Es ist ganz einfach: Wer Interesse hat, kann einfach telefonischen Kontakt mit uns aufnehmen – alles weitere besprechen wir dann persönlich. Die Telefonnummer findet Ihr ganz unten an dieser Seite beziehungsweise gleich hier: 044 740 27 40
NÄHER ran: Können die BBZ’s des SBV auch von Menschen mit mehrfachen Behinderungen besucht werden?
Bildbeschreibung: Gerald Knoll, Mitte 50, schwarze Lederjacke, ein breites Grinsen im Gesicht. Der Grund dafür ist das feine Vanille-Glace in seiner Hand.
Gerald Knoll: Absolut, das ist für uns selbstverständlich. Natürlich können auch Menschen mit zusätzlichen Beeinträchtigungen zu uns kommen. Wir sind unkompliziert und suchen für jede Person die besten Möglichkeiten. Dabei gehen wir auf jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer individuell ein und beziehen unsere Besuchenden stets in ihre persönliche Entwicklung ein – es ist ja schliesslich deren Leben. Dort wo nötig, geben wir den Menschen Unterstützung – wir regen aber auch zur Entwicklung an.
NÄHER ran: Kannst Du etwas sagen über die Finanzierung?
Gerald Knoll: Die meisten unserer Klient:innen bekommen den Aufenthalt durch den Kanton Zürich bzw. durch ihren Wohnkanton bezahlt. Die Beiträge der öffentlichen Hand decken jedoch nicht die vollen Kosten des BBZ. Daher sind wir auf Spendengelder und Einnahmen aus dem Fundraising angewiesen. Ausserdem bringt der Verkauf der bei uns hergestellten Waren einen weiteren Zustupf in unsere Kasse.
NÄHER ran: Vor ein paar Wochen, am 15. Juni, hattet Ihr den Tag der offenen Tür. Was konnten die Besucherinnen und Besucher dort erleben?
Gerald Knoll: Ja, der Tag war herrlich. Die Gäste konnten nicht nur zuschauen, wie geschickt unsere blinden und sehbehinderten Angebotsnutzer:innen ihre Tätigkeiten verrichten. Sie zeigten, wie sie mit der Stäbchenwebtechnik Sitzkissen und Teppiche herstellen. Andere führten das Schreiben mit der Braille-Maschine vor. Ein Klient aus Syrien präsentierte seine kunstvoll hergestellten Steinfiguren aus Speckstein. Höhepunkt war nebst diesen handwerklichen Eindrücken, die Aufführung eines Theaterprojekts. Eine russische Nutzer:in leitet ein Theaterprojekt, in dem die Mitwirkenden aktiv eingebunden sind. Auch die Tanz-Vorführung unserer Tanzgruppe gab einen guten Einblick in die Vielfalt und Lebendigkeit dieses Ortes.
NÄHER ran: Du begegnest in Deiner Tätigkeit vielen Menschen, die blind oder sehbehindert sind? Wo siehst Du im Moment die grössten Herausforderungen für Blinde und Sehbehinderte?
Bildbeschreibung: Gerald Knoll, Mitte 50, weisse Motorrad-Lederjacke, sitzt auf seiner Maschine. Motorradfahren zählt er seit Anfang diesen Jahres neu zu seinen Hobbys.
Gerald Knoll: Obwohl viele Ansätze im Bereich der Integration umgesetzt werden, sei es durch technische Hilfsmittel (Stichwort: „Smartphone“) oder durch Auflagen im Baubereich, so sehe ich doch noch Mängel an einer echten Inklusion. Einige Betroffene klagen beispielsweise über Rücksichts-, zumindest aber Gedankenlosigkeit. Vor unserem Haus parken teilweise überlange Autos hemmungslos mit ihren „Hinterteilen“ bis weit über die Leitlinie hinaus. Mein elektronisches Fotoalbum hierfür füllt sich zusehends. Nicht nur, dass ein solches Verhalten für Betroffene gefährlich werden kann (Stichwort: Ausweichen auf die Strasse) – wenn man/frau sich täglich solchen Situationen ausgesetzt sieht, ist es nur verständlich, sich ausgegrenzt zu fühlen. Nach meinem persönlichen Empfinden sind Hektik und Leistungsdruck massgebliche Faktoren für nicht umsichtiges Verhalten, der Mensch will nicht per se schlechtes tun. Von daher wäre es wünschenswert, wenn unsere Gesellschaft zu mehr Gelassenheit, Menschlichkeit und Ruhe finden würde. Ich weiss, das ist eine grosse Hoffnung – aber die stirbt ja bekanntlich zuletzt…
NÄHER ran: Was wünschst Du Dir für die Zukunft des BBZ Zürich und auch für die anderen Standorte?
Gerald Knoll: Wir haben im BBZ Zürich ein wirklich tolles Zusammenleben: Es geht lebendig zu und her, es wird viel gelacht, junge und alte Leute kommen gut miteinander aus und die Arbeit macht Spass. Ich wünsche mir, dass wir weiterhin aktiv an dieser Stimmung arbeiten, denn diese kommt nicht von allein daher. Damit das möglich ist, braucht es eine ausreichende Finanzierung. Ohne diese kann das Angebot nicht dauerhaft aufrechterhalten werden. Deshalb – das ist mein dritter Wunsch für unser und die anderen BBZ – hoffe ich auf zahlreiche Interessierte beziehungsweise Neuanmeldungen.
NÄHER ran: Vielen Dank, Gerald, für das Interview und viel Erfolg Dir und Euch im BBZ Zürich.
Gerald Knoll: Ja, und ich danke Dir, Roland. Übrigens: Schön, dass der Kontakt mit Euch von der CAB so kollegial und unterstützend läuft. Das macht die Arbeit im Sozialwesen zusätzlich farbiger.
Interview: Roland Gruber
Bildbeschreibungen: Gerald Knoll
Bildungs- & Begegnungszentren BBZ – ein Angebot unserer Partnerorganisation Schweizerischer Blinden- und Sehbehindertenverband SBV:
Wie es ihr Name schon verspricht, bieten die BBZ einerseits die Möglichkeit, neue handwerkliche Techniken und Fertigkeiten zu lernen, andererseits sind sie auch beliebte Treffpunkte, um sich auszutauschen. Jedes BBZ bietet sein eigenes Programm. Sensibilisiertes Fachpersonal begleitet und unterstützt Sie bei Ihren Tätigkeiten. Quelle und weitere Infos: www.sbv-fsa.ch/bbz
BBZ’s gibt es in: Bern, Lausanne, Luzern, St. Gallen und in Zürich
Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag
jeweils von 9:00 Uhr bis 17:00 Uhr
Betriebsferien Sommer: 31.07.23 – 06.08.23 (Öffnung am 07.08.23)
Betriebsferien Winter: 23.12.23 – 03.01.24 (Öffnung am 04.01.24)
Beitragsbild (ganz oben):
Kreativität im BBZ Zürich: Äste werden von sehbeeinträchtigten Menschen in Scheiben geschnitten und fein geschliffen. Die so entstandenen Kräuterschildchen werden zum Schutz vor Witterung mit natürlichem Leinöl eingerieben. Foto: Gerald Knoll
Auch 2023 wird von unserer Partner- respektive Dachorganisation SZBLIND der «Prix de la Canne blanche» vergeben. Die Preisverleihung wird am 19. September in Olten stattfinden. Eine Fachjury, in der auch die CAB vertreten war, hat aus den 21 eingereichten Projekten drei für die öffentliche Abstimmung nominiert.
Diese Publikums-Abstimmung läuft ab sofort und noch bis 9. Juli 2023, und zwar via Website des Medienpartners «20 minuten».
Am 13. Mai fand in Olten die CAB-Delegiertenversammlung 2023 statt. Sie hiess zum letzten Mal «Delegiertenversammlung». Ab 2024 wird sie «Mitgliederversammlung» benannt. Grund: Die CAB verfügt nun nebst Sektionen über Einzelmitglieder: Über hundert Anwärterinnen und Anwärter wurden am 13. Mai von den Delegierten als Einzelmitglieder aufgenommen.
Nach langjährigem Engagement für die CAB trat Elisabeth Walter aus dem Zentralvorstand aus. Sie wurde gebührend geehrt und verabschiedet.
Der übrige Vorstand wurde wiedergewählt, so auch die Präsidentin Ruth Häuptli und der Vizepräsident Franz Fux.
Gäste der vielen befreundeten Organisationen aus dem Blindenwesen ergriffen das Wort und gratulierten der CAB zum 90. Geburtstag.
Dieser wurde anschliessend an die Versammlung anlässlich eines Apéros und eines kleinen Festakts mit Abendessen gefeiert. Ein besonderer Leckerbissen waren dabei die beeindruckenden gesanglichen Einlagen der Singer / Songwriterin Bernarda, die von sich selbst sagt, ihr Motto sei, das Leben trotz Blindheit in vollen Zügen zu leben. Die Festteilnehmenden waren begeistert von den Gesangseinlagen von Bernarda.
Beitragsbild (Foto Andrea Vetsch): Alle Festteilnehmenden erhielten ein kleines Praliné mit 90-Jahre-Fest-Logo der CAB.
Die CAB steht als Selbsthilfeorganisation Blinder und Sehbehinderter hinter der Inklusions-Initiative und hilft mit, die erforderlichen Unterschriften zu sammeln.
Die Initiative verlangt ein klares Bekenntnis zur Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderungen in der Bundesverfassung.
Am 27. April wurde die Inklusionsinitiative mit einer Medienkonferenz und einem Sammel-Event in Bern lanciert.
Bis Oktober 2024 braucht es 100’000 Unterschriften von stimmberechtigen Schweizerbürgerinnen und -bürgern.
Unterschreiben Sie die Inklusions-Initiative:
Bogen für 3 Unterschriften (vorfrankiert): Download PDF
Anleitung: «Wie kann ich unterschreiben?»: Download PDF
Ziele der Inkusions-Initiative:
Rechte von Menschen mit Behinderungen stärken.
Menschen mit Behinderungen sollen ihre Wohnform und ihren Wohnort wählen können.
Menschen mit Behinderungen sollen selbstbestimmt und mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen am Leben der Gesellschaft teilnehmen können. Dafür soll zum Beispiel der Zugang zu personellen und technischen Assistenzleistungen ausgeweitet werden.
Initiativtext:
Die Bundesverfassung¹ wird wie folgt geändert:
Art. 8 Abs. 4
⁴ aufgehoben
Art. 8a² Rechte von Menschen mit Behinderungen
¹ Das Gesetz sorgt für die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und Menschen ohne Behinderungen in allen Lebensbereichen. Menschen mit Behinderungen haben im Rahmen der Verhältnismässigkeit Anspruch auf die dafür erforderlichen Unterstützungs- und Anpassungsmassnahmen, insbesondere auf personelle und technische Assistenz.
² Menschen mit Behinderungen haben das Recht, ihre Wohnform und den Ort, an dem sie wohnen, frei zu wählen; sie haben im Rahmen der Verhältnismässigkeit Anspruch auf die dafür erforderlichen Unterstützungs- und Anpassungsmassnahmen.
––––
¹ SR 101
² Die endgültige Nummerierung dieses Artikels wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt; dabei stimmt diese die Nummerierung ab auf die anderen geltenden Bestimmungen der Bundesverfassung.
Argumente:
Argumentarium von INCLUSION HANDICAP «Gleichstellung, Selbstbestimmung und Teilhabe für Menschen mit Behinderungen jetzt!»: Download PDF
Seit einigen Jahren leiten sie gemeinsam erfolgreich die Blindengolf-Kurse der CAB: Thomas Gisler (rechts) und Karin Becker (links)
Dass die CAB massgeblich daran beteiligt war und ist, den Blindengolf-Sport in die Schweiz zu bringen und zu etablieren, das ist schon weitherum bekannt. Dies in enger Zusammenarbeit mit der Blindengolferin Karin Becker, die in den letzten Jahren zusammen mit CAB-Kursleiter Thomas Gisler schon mehrere Blindengolf-Kurse für die CAB geleitet hat.
Nun sind wir bei der CAB mächtig stolz: Denn Karin Becker wurde in Südafrika, offensichtlich aus ihrer Sicht überraschend, aber auf jeden Fall sensationell, Weltmeisterin im Blindengolf. Wir freuen uns riesig und gratulieren ihr ganz herzlich zum tollen Erfolg, bravo, Karin!
Gut zu wissen: Um die Weiterentwicklung des Blindengolf-Sports in der Schweiz zu fördern, sind wir von der CAB zurzeit in Kontakt mit der neu gegründeten Swiss ParaGolf Association und arbeiten intensiv an einer längerfristigen Zusammenarbeit. Wir halten Sie auf dem Laufenden. Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite von Swiss ParaGolf: Swiss ParaGolf Association
Marc Sommer lebt mit seiner Frau Jasmin und ihrer Tochter Timea in Eglisau. Der 44jährige Web Spezialist ist seit über 30 Jahren stark sehbehindert. Seit 2018 engagiert er sich als Präsident der Swiss Showdown Vereinigung.
NÄHER ran: Kannst Du den Leserinnen und Lesern Deine Sehbehinderung kurz beschreiben? Seit wann bist Du sehbehindert?
Marc Sommer (im Hintergrund) im vollen Einsatz im Match gegen Kurt Halbheer
Marc Sommer: Als ich 12 Jahre alt war, wurde bei mir Retinitis pigmentosa (RP) diagnostiziert. RP ist eine seltene, erblich bedingte Erkrankung der Netzhaut. Mein Gesichtsfeld ist dadurch sehr eingeschränkt, man spricht vom «Tunnelblick». Weitere Symptome sind die Nachtblindheit, die erhöhte Blendungsempfindlichkeit und ein gestörtes Kontrastsehen.
Der Zustand verschlechtert sich sehr schleichend. Trotzdem durfte ich eine fast normale Kindheit und Jugendzeit erleben. Erst im Erwachsenenalter schränkte mich die Erkrankung im Alltag ein.
NÄHER ran:Was machst Du beruflich und wie wirkt sich Deine Sehbehinderung auf Dein Berufsleben aus?
Marc Sommer: Seit über 20 Jahren arbeite ich im Web Bereich. Zuvor absolvierte ich eine kaufmännische Ausbildung in einem Handelsunternehmen. Der damalige Internet Boom hat mich von Anfang an begeistert und gepackt. Für mich war klar, dass ich in diesem Bereich arbeiten will. Seitdem habe ich unzählige Webprojekte für interne Marketingzwecke und Kunden umgesetzt. Neben Webseiten erstelle ich Newsletter und bin für unser Kundenportal zuständig.
Durch die digitale Arbeitsweise darf ich einen grossen Teil im Home-Office arbeiten. Dadurch entfällt der Arbeitsweg, der für Sehbehinderte mühsam sein kann.
Im Geschäft wie auch zu Hause habe ich einen kleineren Touch-Bildschirm. Durch das eingeschränkte Gesichtsfeld nützt mir ein riesiger Monitor nicht viel. Zusätzlich habe ich die Bildschirmfarben invertiert und die Darstellung vergrössert – der Hintergrund ist schwarz und die Schriften weiss. Durch das Umkehren der Farben und Vergrössern kann ich die Inhalte besser lesen oder schreiben. Der grösste Mehrwert bietet mir die Verwendung von Tastenkombinationen, um effizient zu arbeiten.
NÄHER ran: Welche Hilfsmittel sind in Deinem beruflichen und privaten Alltag von Bedeutung?
Marc Sommer:
Im Alltag würde ich das Haus nicht mehr ohne Langstock verlassen. Trotz dem Sehrest würde ich dauernd irgendwo dagegen stossen. Dank dem Blindenstock gehen die Mitmenschen zur Seite oder bieten ihre Hilfe an.
Neben dem Computer mit Touch-Bildschirm nutze ich viel mein Handy als Lupe, dabei erstelle ich ein Foto von einem kleinen Text und kann es nach Belieben vergrössern. Zusätzlich nutze ich das VoiceOver und diverse Apps, die zum Beispiel Texte direkt von einem Blatt vorlesen.
Vor wenigen Jahren durfte ich bereits die Punktschrift lernen und kann diese mit einer mobilen Braillezeile immer wieder üben. Zurzeit geht das Lesen mit Vergrösserung noch.
NÄHER ran: Kannst Du für die Leserinnen und Leser, die Showdown noch nicht kennen, das Spiel kurz erklären?
Marc Sommer:
Showdown ist eine rasante und taktische 1:1 Ballsportart.
Das Siegerpodest an den IBZ-Open Landschlacht 2018: Von links nach rechts: Rita Dütsch, Marc Sommer, Walter Frei
Das Spiel gleicht dem Air Hockey. Dabei wird auf einem Spieltisch aus Holz gespielt, der mit einer Bande versehen ist. In der Mitte ist eine Kunststoffscheibe mit einem Durchlass für den Ball. An beiden Enden befindet sich ein Tor. Die Spieler tragen eine Dunkelbrille, einen Schutzhandschuh an der Spielhand. Mit einem Schläger wird versucht, den rasselnden Ball im gegnerischen Tor zu versenken. Dabei verlassen sich die Spieler lediglich auf ihr Gehör.
Wenn man diesen Sport einige Zeit ausübt, werden die Ballwechsel extrem schnell und der Ball ist teilweise von «normal Sehenden» nicht zu verfolgen.
NÄHER ran:Wie bist Du zum Showdown-Sport gekommen? Kannst Du Dich noch gut an Dein erstes Erlebnis in Zusammenhang mit Showdown erinnern?
Die Schweizer Teilnehmenden am Team-Wettbewerb gegen Slowenien an der WM in Olbia (Sardinien)
Marc Sommer:An den ersten Kontakt erinnere ich mich sehr gut. Im Jahr 2017 wurde im Hotel Solsana in Saanen durch Thomas Häni ein Showdown Workshop angeboten. Im Vorfeld habe ich den Sport auf YouTube angeschaut und wollte diesen unbedingt ausprobieren.
Bereits ab dem ersten Ballwechsel, noch vor dem offiziellem Kursbeginn, hat mich das Showdown-Fieber gepackt. Mich persönlich fasziniert das Spiel, denn man braucht schnelle Reflexe, eine gute Konzentration und Taktik, um beim Gegner ein Tor zu erzielen.
Als Kind habe ich gerne Tischtennis oder Federball gespielt, dies konnte ich später mit meinem Krankheitsverlauf nicht mehr ausüben. Showdown bietet blinden und sehbehinderten Menschen eine tolle Möglichkeit, trotzdem eine rasante Ballsport auszuüben. Es macht einfach Spass.
NÄHER ran:Und was gibt Dir Dein Engagement als Präsident der Swiss Showdown Vereinigung?
Marc Sommer: Unser Ziel mit der Vereinigung ist es, den Showdown-Sport in der Schweiz zu fördern und bekannt zu machen. Obwohl der Sport schon seit über 10 Jahren in der Schweiz gespielt wird, kennen ihn viele nicht.
Mein «Lohn» ist es, wenn das Showdown Fieber weitere Menschen packt.
Die Vereinigung organisiert jährlich ein nationales Turnier, sowie die Schweizermeisterschaft. Zusätzlich probieren wir unsere Wandertische an verschiedenen Standorten zu platzieren, um die Förderung voranzutreiben.
NÄHER ran: Neu bietet die CAB einen Showdown-Schnupperkurs an, den Du leiten wirst. Was kannst Du darüber sagen und was hast Du vor mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern?
Marc Sommer: Der Schnupperkurs findet im Hotel Landhus in Zürich-Seebach statt. Hier wurde die letzten Showdown Schweizermeisterschaft durchgeführt. Die kommende Schweizermeisterschaft im Oktober wird ebenalls dort stattfinden.
Bei diesem Kurs geht es um den ersten Kontakt mit dem Showdown-Sport. Den Teilnehmenden werden mit abwechslungsreichen Übungen die Grundlagen und Taktiken vermittelt. Das Gelernte kann am zweiten Tag bei einem kleinen Turnier umgesetzt werden. Dabei steht der Spass am Spiel im Vordergrund.
Marc Sommer im Einsatz an der Schweizermeisterschaft 2019
Beim Kurs werde ich von einem internationalen Schiedsrichter, einem Showdown Coach und einem weiteren aktiven Spieler unterstützt. Dabei werden wertvolle Tipps aus erster Hand weitergegeben.
NÄHER ran: Vielen Dank, Marc, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview genommen hast und alles Gute Dir und der Swiss Showdown Vereinigung.
Marc Sommer: Besten Dank an die CAB, dass wir den Sport vorstellen durften und der Schnupperkurs angeboten wird. Vielleicht bietet sich dadurch die Gelegenheit, neue Spieler am Tisch für ein Match zu begrüssen.
Die aktuelle Ausgabe des CAB-Spender-Magazins AUGENBLICKE 1/2023 erscheint dieser Tage. Lernen Sie im Porträt Nicole Sourt Sánchez kennen. Eine frühkindliche Retinitis Pigmentosa führte bei ihr zu einem stetigen Verlust des Sehvermögens. Erfahren Sie, wie Nicole Sourt Sánchez von CAB-Kursen profitieren kann und wie sie ihren heutigen Mann in Kuba kennenglernt hat. In der AUGENBLICKE-Kolumne geht es um eine konversationsreiche Bahnreise, und in der Hilfsmittel-Rubrik lesen Sie, wie Blinde auf die Uhr «schauen». Und dann ist da ja noch das 90-Jahre-Jubiläum der CAB: Ein kurzer Beitrag bringt Sie gedanklich zurück ins Gründungsjahr 1933. Dies und mehr im AUGENBLICKE 1/2023.
Ältere Ausgaben unseres Spender-Magazins AUGENBLICKE finden Sie auf unserer Seite PUBLIKATIONEN.
Längst sind die Zeiten vorbei, in denen ein Kursprogramm für ein Jahr gedruckt wurde und dann unverändert blieb. Nicht selten wird es in Zukunft vorkommen, dass auch nach Erscheinen des gedruckten Kursprogramms CAB-Kurse neu lanciert werden. Solche brandaktuellen Angebote werden jeweils auf der Seite Kurse zu oberst publiziert. Schauen Sie also regelmässig vorbei. Und wer lieber hören statt lesen möchte, kann dies via das telefonische Informationssystem VoiceNet tun (mehr Infos zu VoiceNet ganz unten auf dieser Seite).
Im Moment gibt es drei neue Kurse, die nicht im gedruckten Kursprogramm zu finden sind:
Erlernen Sie Showdown kennen, eine Art «Blindentischtennis». Und dies nicht mit irgendjemand. Sondern mit dem Präsidenten der Swiss Showdown Vereinigung, Marc Sommer. Als amtierender Schweizermeister ist er einer der erfahrensten und versiertesten Spieler in der Schweiz. Wer sich lieber beim Tanzen fitmachen möchte, meldet sich für die bereits laufende Kurs-Reihe «Balla e brucia» an und powert sich unter der motivierenden Anleitung von Maria aus. Und dann wäre da
Foto: Wassersport auf dem Vierwaldstättersee – Naturerlebnis pur!
noch das CAB-Jubiläumsangebot: Kajak, Segeln und Stand up Paddle auf dem Vierwaldstättersee. Ebenfalls einzigartig und landschaftlich traumhaft, und mit Daniel Borter von einem «Profi» geleitet.
Tanz dich fit «Balla e brucia»: Ab sofort bis Ände März, Tanzstudio, Bremgartnerstr. 18, Zürich Wiedikon Abonnement 1 / Abonnement 2 / Abonnement 3
Die neuen Ausschreibungen sind auch auf VoiceNet, dem telefonischen Informationssystem für Blinde und Sehbehinderte, zu finden.
VoiceNet - Kommunikationshilfe
Die CAB ist zurück auf VoiceNet!
Eine angenehme elektronische Stimme oder die persönliche Stimme eines VoiceNet Redaktors liest Ihnen die Nachrichten vor. Die Selektion erfolgt über die Telefontastatur oder per Sprachbefehl. Sie werden dabei vom System laufend geführt.
Sie erreichen VoiceNet über die Telefonnummer
031 390 88 88
Anschliessend sind folgende Ziffern für die CAB zu wählen: (Ziffern können sofort nach der Begrüssung im deutschsprachigen Menü eingegeben werden:
4 Plattform
9 Schweizerische Caritasaktion der Blinden (CAB)
Unterrubriken sind:
1 Kursprogramm
2 CAB allgemein
In der VoiceNet Rubrik der CAB halten wir Sie über mehrtägige CAB-Kurse und über Tageskurse sowie über sämtliche Aktualitäten rund um die CAB auf dem Laufenden. Und, alle paar Tage neu: Ein Gedanke in den Tag oder ein spannendes Zitat.
Möchten Sie zusätzlich zu den elektronischen und somit aktuellen Möglichkeiten das gedruckte CAB-Kursprogramm erhalten? Hier geht’s zum Bestellformular.
Die nationalen Sehbehindertenorganisationen kritisieren den
Entscheid der Branchenorganisation «Alliance SwissPass», die «Ausweiskarte für Blinde und Sehbehinderte im öffentlichen Nahverkehr» per Ende 2023 abzuschaffen.
Lesen Sie die gemeinsame Medienmitteilung der Schweizerischen Caritasaktion der Blinden, des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbandes, des Schweizerischen Blindenbundes und des Schweizerischen Zentralvereins für das Blindenwesen.