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Im NÄHER ran-Interview: Marc Sommer

Zur Person:

Marc Sommer lebt mit seiner Frau Jasmin und ihrer Tochter Timea in Eglisau. Der 44jährige Web Spezialist ist seit über 30 Jahren stark sehbehindert. Seit 2018 engagiert er sich als Präsident der Swiss Showdown Vereinigung.


NÄHER ran: Kannst Du den Leserinnen und Lesern Deine Sehbehinderung kurz beschreiben? Seit wann bist Du sehbehindert?

Marc Sommer in voller Aktion
Marc Sommer (im Hintergrund) im vollen Einsatz im Match gegen Kurt Halbheer

Marc Sommer: Als ich 12 Jahre alt war, wurde bei mir Retinitis pigmentosa (RP) diagnostiziert. RP ist eine seltene, erblich bedingte Erkrankung der Netzhaut. Mein Gesichtsfeld ist dadurch sehr eingeschränkt, man spricht vom «Tunnelblick». Weitere Symptome sind die Nachtblindheit, die erhöhte Blendungsempfindlichkeit und ein gestörtes Kontrastsehen.

Der Zustand verschlechtert sich sehr schleichend. Trotzdem durfte ich eine fast normale Kindheit und Jugendzeit erleben. Erst im Erwachsenenalter schränkte mich die Erkrankung im Alltag ein.

NÄHER ran: Was machst Du beruflich und wie wirkt sich Deine Sehbehinderung auf Dein Berufsleben aus?

Marc Sommer: Seit über 20 Jahren arbeite ich im Web Bereich. Zuvor absolvierte ich eine kaufmännische Ausbildung in einem Handelsunternehmen. Der damalige Internet Boom hat mich von Anfang an begeistert und gepackt. Für mich war klar, dass ich in diesem Bereich arbeiten will. Seitdem habe ich unzählige Webprojekte für interne Marketingzwecke und Kunden umgesetzt. Neben Webseiten erstelle ich Newsletter und bin für unser Kundenportal zuständig.

Durch die digitale Arbeitsweise darf ich einen grossen Teil im Home-Office arbeiten. Dadurch entfällt der Arbeitsweg, der für Sehbehinderte mühsam sein kann.

Im Geschäft wie auch zu Hause habe ich einen kleineren Touch-Bildschirm. Durch das eingeschränkte Gesichtsfeld nützt mir ein riesiger Monitor nicht viel. Zusätzlich habe ich die Bildschirmfarben invertiert und die Darstellung vergrössert – der Hintergrund ist schwarz und die Schriften weiss. Durch das Umkehren der Farben und Vergrössern kann ich die Inhalte besser lesen oder schreiben. Der grösste Mehrwert bietet mir die Verwendung von Tastenkombinationen, um effizient zu arbeiten.

NÄHER ran: Welche Hilfsmittel sind in Deinem beruflichen und privaten Alltag von Bedeutung?

Marc Sommer:

Im Alltag würde ich das Haus nicht mehr ohne Langstock verlassen. Trotz dem Sehrest würde ich dauernd irgendwo dagegen stossen. Dank dem Blindenstock gehen die Mitmenschen zur Seite oder bieten ihre Hilfe an.

Neben dem Computer mit Touch-Bildschirm nutze ich viel mein Handy als Lupe, dabei erstelle ich ein Foto von einem kleinen Text und kann es nach Belieben vergrössern. Zusätzlich nutze ich das VoiceOver und diverse Apps, die zum Beispiel Texte direkt von einem Blatt vorlesen.

Vor wenigen Jahren durfte ich bereits die Punktschrift lernen und kann diese mit einer mobilen Braillezeile immer wieder üben. Zurzeit geht das Lesen mit Vergrösserung noch.

NÄHER ran: Kannst Du für die Leserinnen und Leser, die Showdown noch nicht kennen, das Spiel kurz erklären?

Marc Sommer:

Showdown ist eine rasante und taktische 1:1 Ballsportart.

Siegerpodest IBZ-Open 2018
Das Siegerpodest an den IBZ-Open Landschlacht 2018: Von links nach rechts: Rita Dütsch, Marc Sommer, Walter Frei

Das Spiel gleicht dem Air Hockey. Dabei wird auf einem Spieltisch aus Holz gespielt, der mit einer Bande versehen ist. In der Mitte ist eine Kunststoffscheibe mit einem Durchlass für den Ball. An beiden Enden befindet sich ein Tor. Die Spieler tragen eine Dunkelbrille, einen Schutzhandschuh an der Spielhand. Mit einem Schläger wird versucht, den rasselnden Ball im gegnerischen Tor zu versenken. Dabei verlassen sich die Spieler lediglich auf ihr Gehör.

Wenn man diesen Sport einige Zeit ausübt, werden die Ballwechsel extrem schnell und der Ball ist teilweise von «normal Sehenden» nicht zu verfolgen.

NÄHER ran: Wie bist Du zum Showdown-Sport gekommen? Kannst Du Dich noch gut an Dein erstes Erlebnis in Zusammenhang mit Showdown erinnern?

WM Slowenien 2019
Die Schweizer Teilnehmenden am Team-Wettbewerb gegen Slowenien an der WM in Olbia (Sardinien)

Marc Sommer: An den ersten Kontakt erinnere ich mich sehr gut. Im Jahr 2017 wurde im Hotel Solsana in Saanen durch Thomas Häni ein Showdown Workshop angeboten. Im Vorfeld habe ich den Sport auf YouTube angeschaut und wollte diesen unbedingt ausprobieren.

 

Bereits ab dem ersten Ballwechsel, noch vor dem offiziellem Kursbeginn, hat mich das Showdown-Fieber gepackt. Mich persönlich fasziniert das Spiel, denn man braucht schnelle Reflexe, eine gute Konzentration und Taktik, um beim Gegner ein Tor zu erzielen.

Als Kind habe ich gerne Tischtennis oder Federball gespielt, dies konnte ich später mit meinem Krankheitsverlauf nicht mehr ausüben. Showdown bietet blinden und sehbehinderten Menschen eine tolle Möglichkeit, trotzdem eine rasante Ballsport auszuüben. Es macht einfach Spass.

NÄHER ran: Und was gibt Dir Dein Engagement als Präsident der Swiss Showdown Vereinigung?

Gründungsversammlung
Die Gründungsversammlung der Swiss Showdown Vereinigung 2018 in Olten

Marc Sommer: Unser Ziel mit der Vereinigung ist es, den Showdown-Sport in der Schweiz zu fördern und bekannt zu machen. Obwohl der Sport schon seit über 10 Jahren in der Schweiz gespielt wird, kennen ihn viele nicht.

 

Mein «Lohn» ist es, wenn das Showdown Fieber weitere Menschen packt.

Die Vereinigung organisiert jährlich ein nationales Turnier, sowie die Schweizermeisterschaft. Zusätzlich probieren wir unsere Wandertische an verschiedenen Standorten zu platzieren, um die Förderung voranzutreiben.

NÄHER ran: Neu bietet die CAB einen Showdown-Schnupperkurs an, den Du leiten wirst. Was kannst Du darüber sagen und was hast Du vor mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern?

Marc Sommer: Der Schnupperkurs findet im Hotel Landhus in Zürich-Seebach statt. Hier wurde die letzten Showdown Schweizermeisterschaft durchgeführt. Die kommende Schweizermeisterschaft im Oktober wird ebenalls dort stattfinden.

Bei diesem Kurs geht es um den ersten Kontakt mit dem Showdown-Sport. Den Teilnehmenden werden mit abwechslungsreichen Übungen die Grundlagen und Taktiken vermittelt. Das Gelernte kann am zweiten Tag bei einem kleinen Turnier umgesetzt werden. Dabei steht der Spass am Spiel im Vordergrund.

Marc Sommer, von hinten aufgenommen
Marc Sommer im Einsatz an der Schweizermeisterschaft 2019

Beim Kurs werde ich von einem internationalen Schiedsrichter, einem Showdown Coach und einem weiteren aktiven Spieler unterstützt. Dabei werden wertvolle Tipps aus erster Hand weitergegeben.

NÄHER ran: Vielen Dank, Marc, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview genommen hast und alles Gute Dir und der Swiss Showdown Vereinigung.

Marc Sommer: Besten Dank an die CAB, dass wir den Sport vorstellen durften und der Schnupperkurs angeboten wird. Vielleicht bietet sich dadurch die Gelegenheit, neue Spieler am Tisch für ein Match zu begrüssen.


Weiterführende Links (Swiss Showdown Vereinigung):

Medienberichte über Showdwon und Protagonist:innen

Das aktuelle Regelement der IBSA (INTERNATIONAL BLIND
SPORTS FEDERATION) (englisch)

Offizielles Turnier Reglement der Swiss Showdown Vereinigung (deutsch)

AUGENBLICKE 1/2023

Die aktuelle Ausgabe des CAB-Spender-Magazins AUGENBLICKE 1/2023 erscheint dieser Tage. Lernen Sie im Porträt Nicole Sourt Sánchez kennen. Eine frühkindliche Retinitis Pigmentosa führte bei ihr zu einem stetigen Verlust des Sehvermögens. Erfahren Sie, wie Nicole Sourt Sánchez von CAB-Kursen profitieren kann und wie sie ihren heutigen Mann in Kuba kennenglernt hat. In der AUGENBLICKE-Kolumne geht es um eine konversationsreiche Bahnreise, und in der Hilfsmittel-Rubrik lesen Sie, wie Blinde auf die Uhr «schauen». Und dann ist da ja noch das 90-Jahre-Jubiläum der CAB: Ein kurzer Beitrag bringt Sie gedanklich zurück ins Gründungsjahr 1933. Dies und mehr im AUGENBLICKE 1/2023.

Ältere Ausgaben unseres Spender-Magazins AUGENBLICKE finden Sie auf unserer Seite PUBLIKATIONEN.

Ein Klick auf unsere Seite Kurse lohnt sich immer wieder

Längst sind die Zeiten vorbei, in denen ein Kursprogramm für ein Jahr gedruckt wurde und dann unverändert blieb. Nicht selten wird es in Zukunft vorkommen, dass auch nach Erscheinen des gedruckten Kursprogramms CAB-Kurse neu lanciert werden. Solche brandaktuellen Angebote werden jeweils auf der Seite Kurse zu oberst publiziert. Schauen Sie also regelmässig vorbei. Und wer lieber hören statt lesen möchte, kann dies via das telefonische Informationssystem VoiceNet tun (mehr Infos zu VoiceNet ganz unten auf dieser Seite).

Im Moment gibt es drei neue Kurse, die nicht im gedruckten Kursprogramm zu finden sind:

Erlernen Sie Showdown kennen, eine Art «Blindentischtennis». Und dies nicht mit irgendjemand. Sondern mit dem Präsidenten der Swiss Showdown Vereinigung, Marc Sommer. Als amtierender Schweizermeister ist er einer der erfahrensten und versiertesten Spieler in der Schweiz. Wer sich lieber beim Tanzen fitmachen möchte, meldet sich für die bereits laufende Kurs-Reihe «Balla e brucia» an und powert sich unter der motivierenden Anleitung von Maria aus. Und dann wäre da

Foto: Wassersport auf dem Vierwaldstättersee
Foto: Wassersport auf dem Vierwaldstättersee – Naturerlebnis pur!

noch das CAB-Jubiläumsangebot: Kajak, Segeln und Stand up Paddle auf dem Vierwaldstättersee. Ebenfalls einzigartig und landschaftlich traumhaft, und mit Daniel Borter von einem «Profi» geleitet.

Und hier die drei neuen Angebote im Detail:

Showdown Schnupperkurs: 2. und 3. September 2023, Zürich Seebach

Jubiläums-Angebot: Kajak, Segeln und Stand up Paddle: 3. bis 6. August 2023, Morschach und Vierwaldstättersee

Tanz dich fit «Balla e brucia»: Ab sofort bis Ände März, Tanzstudio, Bremgartnerstr. 18, Zürich Wiedikon
Abonnement 1 / Abonnement 2 / Abonnement 3

Die neuen Ausschreibungen sind auch auf VoiceNet, dem telefonischen Informationssystem für Blinde und Sehbehinderte, zu finden.

VoiceNet - Kommunikationshilfe

Die CAB ist zurück auf VoiceNet!

Eine angenehme elektronische Stimme oder die persönliche Stimme eines VoiceNet Redaktors liest Ihnen die Nachrichten vor. Die Selektion erfolgt über die Telefontastatur oder per Sprachbefehl. Sie werden dabei vom System laufend geführt.

Sie erreichen VoiceNet über die Telefonnummer

031 390 88 88

Anschliessend sind folgende Ziffern für die CAB zu wählen: (Ziffern können sofort nach der Begrüssung im deutschsprachigen Menü eingegeben werden:

4 Plattform

9 Schweizerische Caritasaktion der Blinden (CAB)

Unterrubriken sind:

1 Kursprogramm

2 CAB allgemein

In der VoiceNet Rubrik der CAB halten wir Sie über mehrtägige CAB-Kurse und über Tageskurse sowie über sämtliche Aktualitäten rund um die CAB auf dem Laufenden. Und, alle paar Tage neu: Ein Gedanke in den Tag oder ein spannendes Zitat.

Möchten Sie zusätzlich zu den elektronischen und somit aktuellen Möglichkeiten das gedruckte CAB-Kursprogramm erhalten? Hier geht’s zum Bestellformular.

Und hier finden Sie das «gedruckte» CAB-Kursprogramm» als PDF zum Herunterladen.

Gemeinsame Medienmitteilung CAB, SBV, SBb und SZBLIND

Die nationalen Sehbehindertenorganisationen kritisieren den
Entscheid der Branchenorganisation «Alliance SwissPass», die «Ausweiskarte für Blinde und Sehbehinderte im öffentlichen Nahverkehr» per Ende 2023 abzuschaffen.

Lesen Sie die gemeinsame Medienmitteilung der Schweizerischen Caritasaktion der Blinden, des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbandes, des Schweizerischen Blindenbundes und des Schweizerischen Zentralvereins für das Blindenwesen.

Link zur Medienmitteilung von CAB, SBV, SBb und SZBLIND (PDF)

Link zur Medienmitteilung von Alliance SwissPass

Beitragsbild: Symbolbild Foto von Mitchell Johnson auf Unsplash

Im NÄHER ran-Interview: Pietro Londino

Zur Person:

Pietro Londino ist Erwachsenenbildner, geboren 1971. Er wohnt mit seiner Ehefrau und zwei Töchtern im Kanton Thurgau. Seit seinem vierten Lebensjahr ist Pietro Londino blind. Da seine Wurzeln in Italien sind, ist er perfekt zweisprachig: italienisch und deutsch / schwiezerdütsch.


NÄHER ran: Pietro, im Rahmen von Einführungs- und Sensibilisierungstagen hilfst Du der CAB immer wieder, neue freiwillige Mitarbeitende zu schulen. Was gibt Dir dieses Engagement?

Foto: Pietro Londino erklärt Umgangsweise mit Smartphone
Foto: Pietro Londino erklärt an einem Einführungs- und Sensibilisierungstag für freiwillige Mitarbeitende der CAB und Zivis wie blinde Nutzerinnen und Nutzer ein Smartphone bedienen.

Pietro Londino: Ich finde das voll spannend und wichtig. Ich kann Menschen etwas weitergeben. Menschen, die bereit sind, Blinde und Sehbehinderte zu begleiten, sei es im Rahmen von Wochen- oder Tageskursen. In diesem Bereich aus dem Vollen schöpfen zu können und Workshops mitzuleiten, Red und Antwort zu stehen und Menschen zu sensibilisieren, das finde ich etwas Zentrales und Wichtiges, und ich mache das sehr gerne. Gerade auch die Zusammenarbeit in einem tollen CAB-Team gibt mir viel Freude und Genugtuung.

NÄHER ran: Du als blinde Person, die auch schon Kurse besucht hat und auch selbst Weiterbildungskurse leitet; etwas plakativ gefragt: Was macht in Deinen Augen eine gute Begleitperson (in Kursen) aus?

Foto: Pietro Londino und Roland Gruber
Foto: Pietro Londino und CAB-Mitarbeiter Roland Gruber nach einem Schulungstag für freiwillige Mitarbeitende der CAB.

Pietro Londino: Ich drücke mich da jeweils so aus, finde aber, dass man dies nicht buchstäblich verstehen sollte: Eine gute Begleitperson ist eine, die mir folgt, wie mein Schatten. Die Begleitperson ist immer da und greift dann ein, wenn es nötig ist. Sie steht mir dann zur Verfügung, wenn ich es brauche; und ist aber so ein bisschen unscheinbar. Ich möchte das aber nicht so verstanden wissen, dass der Begleiter mein «Diener» oder mein «Gang go….» ist. Begleitpersonen sind ja schliesslich Menschen, und es kommt zu einer Interaktion und eine Beziehung entsteht. Und das macht es spannend und farbig. Nebst dem «Technischen Aspekt», dass eine Begleitperson dann eingreift, wenn es nötig ist, auch nachfrägt, wenn es Unsicherheiten gibt, ist da ja auch ein Mensch, mit dem wir Blinde und Sehbehinderte eine Beziehung aufbauen. Ich empfinde es als enorm bereichernd, wenn sich zwei Menschen treffen und ihre Geschichte teilen und sich darüber austauschen.

NÄHER ran: Hauptberuflich arbeitest Du für die Stiftung AccessAbility. Was sind dort Deine Hauptaufgaben?

Pietro Londino: Schulung von blinden PC- oder Smartphone-Nutzerinnen und -Nutzern. Mit meiner Ausbildung als Erwachsenenbildner ist dies mein «Kerngeschäft». Auch hier fasziniert mich das Zusammentreffen mit Menschen, mit denen eine Beziehung entsteht. Aber natürlich liegt der Fokus in erster Linie auf der Schulung. Ich empfinde es als wichtig, dass ich als Selbst-Betroffener etwas weitergeben kann. Das hat mit Glaubwürdigkeit zu tun: Die Menschen wissen: «Er weiss, von was er spricht». Ich erlebe die Haltung unserer Kundinnen und Kunden mir gegenüber als extrem wohlwollend, sie sind sehr bereit, das anzunehmen, was ich ihnen mitgebe. Daneben arbeite ich auch back-office (Terminvereinbarungen, Telefon-Support, Bedarfsabklärungen). Ich verfasse auch Anträge zur Kostenübernahme an die Invalidenversicherung. Aber, wie gesagt, das «Kerngeschäft» ist die Schulung von Blinden oder ganz stark Sehbehinderten am PC (mittels Sprachausgabe und / oder Braille-Zeile) und am Smartphone (v.a. mit VoiceOver und allenfalls Braille-Zeile).

NÄHER ran: Würdest Du es bei Schulungen an elektronischen Hilfsmitteln als Vorteil bezeichnen, dass Du selbst blind bist?

Pietro Londino: Ja, wie gesagt, grundsätzlich schon. Ich kann sehr gut zu Kunden sagen: «Hey, das kannst Du», und die Kunden werden nicht sagen: «Du kannst ja gut reden». Es hat aber nicht nur Vorteile: Es gibt Software, die nicht 100-prozentig gut bedienbar ist für unser eins. Da wäre es manchmal schon hilfreich, ich könnte auf dem Bildschirm besser nachvollziehen, was gerade abgeht. Oder, wenn ein Kunde immer wieder eine falsche Tastenkombination drückt, dann kann ich das ja nicht sehen, und es braucht manchmal schon etwas Phantasie, mir vorzustellen, was schiefläuft. Aber eben, in der Schulung von Betroffenen sehe ich meine Blindheit überwiegend als Vorteil.

NÄHER ran: Und gleich noch einmal etwas direkt gefragt: Digitalisierung, für Blinde, mehr Nutzen oder mehr Fluch?

Pietro Londino: Oh, das ist eine ganz schwierige Frage. Auf der einen Seite glaube ich, es ist sehr viel mehr möglich dank der Digitalisierung als noch früher. Auf der anderen Seite zeigt sie uns Sehbehinderten und Blinden immer klarer unsere Grenzen auf. Die Digitalisierung bringt in unserer Gesellschaft auch stark den Anteil mit, dass alles schneller gehen muss, mehr Informationen in kurzer Zeit zu verarbeiten sind. Wo es um Quantität geht, die wir bewältigen müssen, und das noch in einer gewissen Geschwindigkeit, da sind wir Blinde und Sehbehinderte immer benachteiligt. Aus dieser Sicht würde ich sagen, der «Fluch»-Anteil ist schon sehr gross und nicht zu unterschätzen. Aber dann kommt schon wieder die andre Seite: Dank der Digitalisierung sind wir in der Lage, ein Smartphone mittels Screenreader zu bedienen. Also, ich bin halt jemand, der lieber das halb volle als das halb leere Glas und somit den Nutzen einer Entwicklung sieht. Aber unter dem Strich muss ich doch feststellen, dass der «Fluch-Anteil» gross ist. Solange ich als Blinder mir nicht den Druck mache, ich könne mich aufgrund der Digitalisierung mit Sehenden messen, kann ich mich über den Segen der Digitalisierung freuen und ihre Vorteile nutzen. Und ich glaube: Da wird noch Einiges möglich sein in Zukunft, ich sage nur: Selbst fahrende Autos.

NÄHER ran: Wir stehen kurz vor Weihnachten. Was bedeutet Dir Weihnachten?

Foto: Pietro Londino
Portraitbild: Pietro Londino hat viele Kindheitserinnerungen an grosse Weihnachts-Familienfeste in seiner süditalienischen Heimat.

Pietro Londino: Sehr viel. Als Süditaliener erinnere ich mich gerne an Familienfeste, an richtig grosse Feste. In Süditalien wird vom 24. auf den 25. Dezember die Nacht so zu sagen durchgefeiert, angefangen mit einem üppigen Weihnachtsessen, das durchaus um 20 Uhr beginnen und bis weit in die Morgenstunden hinein dauern kann, mit Dudelsack-Einlage und so weiter…. Und heute: Für mich als bekennender und praktizierender Christ ist Weihnachten schlicht das Fest der Freude und der Liebe. Gott hat uns seinen Sohn auf diese Erde gegeben, und zwar nicht unantastbar in einem Palast, sondern für alle zugänglich in einem einfachen Stall. So dürfen wir auch heute die Liebesbotschaft von Gott an uns Menschen feiern, natürlich auch bei einem feinen Essen. Aber vielleicht, gerade in dieser festlichen Zeit, auch Zeit haben für Menschen, die allein sind. Und Geschenke, besonders auch für unsere Kinder, die gehören doch einfach auch dazu. Wo Freude und Liebe herrschen, da werden auch Geschenke gemacht. Weihnachten ist für mich auch das Fest des Lichts. Und darf ich zum Abschluss des Interviews noch ein bisschen «polemisch» werden?: Energiesparen ist natürlich wichtig, keine Frage. Aber dass in der dunklen Jahreszeit, das so wichtige Licht abgestellt wird, das kann ich nicht ganz verstehen. Ich finde: In der Dunkelheit sollen die Licher brennen, um die Menschen und ihre Gemüter zu erhellen.

NÄHER ran: Vielen Dank, Pietro, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview genommen hast.

Pietro Londino: Ich bedanke mich herzlich bei der CAB für die Gelegenheit, dieses Interview geben zu dürfen. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern des Newsletters NÄHER ran freudige, liebevolle und erleuchtete Weihnachtstage.


Dieses Interview entstand in Zusammenhang mit dem CAB-Newsletter NÄHER ran.

Hier können Sie NÄHER ran abonnieren: www.cab-org.ch/newsletter

Hier geht es direkt zur Webversion der aktuellen Ausgabe: Webversion NÄHER ran #8 vom 22.12.2022

Das CAB-Kursprogramm 2023 ist online

Ein spezieller Moment im CAB-Jahresablauf: Seit heute 1. Oktober finden Sie die 35 mehrtägigen und 18 eintägigen CAB-Kurse 2023 online. – Freuen Sie sich auf ein reichhaltiges und abwechslungsreiches Kursprogramm:

mehrtägige Kurse 2023

Tageskurse 2023

Wenn Sie möchten, können Sie sich direkt online anmelden (unten an der jeweiligen Kursausschreibung). Oder Sie rufen uns an: 044 466 50 66. Oder: Anmeldung per E-Mail.

CAB Delegiertenversammlung vom 21. Mai 2022

An der Delegiertenversammlung haben wir neue Statuten eingeführt, welche die CAB in ein neues Zeitalter bringen sollen. Der wichtigste Aspekt ist die Definition der neuen Mission als Vereinszweck. Diese fliesst auch ins neu erstellte Leitbild, welches auf der Homepage publiziert ist: www.cab-org.ch/leitbild

Die Mission ist die Daseinsberechtigung der CAB. Es war ein langer Prozess, der teilweise auch durch externe Fachpersonen begleitet wurde. Die aktuelle Mission ist der Konsens aus einer mehrjährigen Arbeit:

• Wir sind eine Selbsthilfeorganisation für sehbehinderte und blinde Menschen

• Sehbehinderte und Blinde gestalten die Zukunft der Selbsthilfe aktiv mit

• Wir fördern die soziale Integration und Inklusion mit Beratungs-,

Freizeit- und Weiterbildungsangeboten

• Wir motivieren sehbehinderte und blinde Menschen, das Leben in die Hand zu nehmen und selbstbestimmt zu leben

• Wir unterstützen Klienten mit einer individuellen Beratung im persönlichen Umfeld

• Wir sind keine Beratungsstelle, sind aber mit den Fachstellen vernetzt

• Wir suchen Angebote, welche die jüngere Generation anspricht

• Für religiöse oder spirituelle Sinnfragen und Hilfestellungen vernetzen wir Klienten mit unseren regionalen Gruppen oder Seelsorgestellen

Im Bereich der Mitglieder wurde ebenfalls eine Änderung vorgenommen: Bisher war es Blinden und Sehbehinderten nur möglich, bei einer Sektion der CAB Mitglied zu werden. Nachdem unsere Sektionen in den letzten Jahren unter Mitgliederschwund und Überalterung gelitten hatten und sich teilweise aufgelöst hatten, musste nach einer Lösung gesucht werden. Neu kann die CAB Geschäftsstelle überregional blinde und sehbehinderte als Mitglieder aufnehmen. Dies wurde vor allem für Menschen möglich gemacht, deren Sektionen in den letzten Jahren aufgelöst wurden. Es steht aber allen Interessierten offen. Wir planen regionale Treffen in den angestammten Regionen und sind dafür auf die Mithilfe von Mitgliedern oder freiwilligen Mitarbeitenden vor Ort angewiesen. In den neuen Statuten wurde das Stimmenverhältnis zwischen Mitgliedern der CAB und Delegierten der Sektionen definiert, damit keine Gruppe die andere unfair überstimmen kann.

Eine weitere wichtige Veränderung in den Statuten betrifft die Zielgruppen unserer Arbeit. Früher war die Arbeit mit Taubblinden und Hörsehbehinderten ein wichtiges Standbein der CAB. In den letzten Jahren war die Klientenarbeit mit dieser Gruppe leider so stark rückläufig, dass wir keine Fachpersonen für diese Klienten mehr auslasten können. Dies betrifft sowohl die Beratung als auch das Kurswesen. Da die wenigen taubblinden und hörsehbehinderten Klienten sowieso bereits durch den SZBLIND und / oder die Taubblindenhilfe betreut werden, zieht sich die CAB aus diesem Bereich zurück. Hier geht’s zur entsprechenden News-Meldung.

Text: Rudolf Rosenkranz, CAB-Geschäftsleiter

Zur Seite Mission und Leitbild

Parlamentarier-Anlass vom 31. Mai 2022 mit Inclusion Handicap

Am 31. Mai 2022 fand in Bern ein Parlamentarieranlass von Inclusion Handicap (IH) statt, an welchem wir, zusammen mit dem SZBLIND, dem SBV und dem Blindenbund, das Blinden- und Sehbehindertenwesen repräsentierten und gemeinsame Anliegen vorstellen konnten. IH hatte zu diesem Anlass unter dem Aspekt der stark kritisierten Umsetzung der UNO-BRK eingeladen. Insgesamt nahmen zwei Ständerätinnen und 8 Nationalrätinnen und Nationalräte, Mitglieder der kantonalen Sozialdirektorenkonferenz, Vertreter des BSV und weiteren Organisationen an diesem Anlass teil.

Zusammen mit dem SZBLIND und der Interessenvertretung des SBV konnten wir unsere gemeinsamen Anliegen in Form von zwei Inputs vorstellen. Der erste Input betraf die Wichtigkeit der Verkehrssicherheit aus der Sicht von Blinden und Sehbehinderten im Hinblick auf eine aktuelle Vernehmlassung zur Schaffung von Begegnungszonen anstelle von klar getrennten Strassen und Trottoirs. Der zweite Input richtete sich an Verantwortlichen von geplanten e-Voting-Plattformen. Die aktuelle Situation ist eine klar mangelhafte Barrierefreiheit am Beispiel von fehlenden Abstimmungs-Schablonen zur selbständigen Partizipation am politischen Geschehen im Sinne der Wahrung des Abstimmungsgeheimnisses. Es wurde ein Handout verteilt, welches von allen 4 Organisationen erarbeitet und signiert ist.

Für das Sehbehindertenwesen mit dem SZBLIND, dem SBV, dem Blindenbund und der CAB war dies ein sehr wertvoller Anlass, um unsere hervorragende Zusammenarbeit und Einigkeit zu demonstrieren. Gleichzeitig durften wir von der politischen Erfahrung und Bekanntheit von IH profitieren. Die Politiker waren offen für unsere Inputs und stellten gute Fragen.

Es zeigt sich an diesem Beispiel exemplarisch, wie wichtig es ist, dass die Organisationen im Blindenwesen gut zusammenarbeiten, um etwas zu bewirken. Die früheren Einzelkämpfer-Ambitionen der Organisationen brachten den Blinden und Sehbehinderten nichts und gehören zum Glück der Vergangenheit an.

Text: Rudolf Rosenkranz, Geschäftsleiter CAB

Beitrags-Foto: Photo by Andreas Fischinger on Unsplash

Die CAB zieht sich aus der Taubblindenarbeit zurück

Die Arbeit mit Hörsehbehinderten und Taubblinden war lange Jahre ein wichtiges Standbein der CAB. In den letzten Jahren ging die Arbeit mit dieser Klientengruppe kontinuierlich zurück. Einige Klienten sind gestorben und neue kamen nicht dazu. Letzteres kann als positives Zeichen für die fortschreitende Technik oder zumindest teilweise für eine gelungene Inklusion betrachtet werden.

In der Beratung der CAB hatte der Rückgang einen Knowhow-Verlust zur Folge, was sich zum Beispiel im Lormen mit Taubblinden niederschlug. Das Lormen muss wie eine Fremdsprache regelmässig geübt werden, damit man sie nicht verlernt.

Im Kursbereich konnten wir wegen den Covid-Einschränkungen keine Blockkurse mit Hörsehbehinderten und Taubblinden durchführen. Die traditionellen Wochen mit der Tanne oder der Taubblindenhilfe konnten leider nicht oder nur in einem reduzierten Rahmen stattfinden. Es zeichnete sich aber schon länger ab, dass wir immer mehr Probleme haben, passende Begleitpersonen für die Kurse zu finden.

Der Zentralvorstand der CAB hat sich aus den genannten Gründen dazu entschlossen, die Taubblindenarbeit aufzugeben und die Vereinsstatuten entsprechend anzupassen. Die verbleibenden Klienten sind alle bereits durch unsere Partnerorganisationen SZBLIND und / oder die Taubblindenhilfe gut und professionell versorgt.

Rudolf Rosenkranz
Geschäftsleiter

Zürich, 8. Juni 2022

UNO Ausschuss legt den Finger in die Wunde

UNO-Ausschuss legt den Finger in die Wunde

Die Schweiz erfüllt die Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) bei weitem nicht – mit wesentlichen Nachteilen für Menschen mit Sehbehinderung und Hörsehbehinderung.

Gemäss des UNO-Ausschuss sehen sich Menschen mit Behinderung in der Schweiz mit vielen Hürden konfrontiert. Die Organisationen des Sehbehindertenwesens, SZBLIND, SBV, SBb und CAB zeigen auf, welche Barrieren gemäss abschliessender Bemerkungen des UNO Ausschusses Menschen mit Sehbehinderungen eine gleichberechtigte Teilhabe an einer inklusiven Gesellschaft immer noch verunmöglichen. Ungenügende Noten werden der Schweiz ausgestellt in der Möglichkeit sehbehinderter Menschen zur politischen Partizipation, der Zugänglichkeit aller Bereiche des öffentlichen Lebens, der Zugänglichkeit von Information und Kommunikation, dem Zugang zu Assistenz, zum Arbeitsmarkt und zu Bildung. 

Politische Partizipation

Situationsanalyse: Menschen mit einer Sehbehinderung können ihre politischen Rechte nicht autonom und selbstbestimmt wahrnehmen. Grund dafür ist die im Bundesgesetz über die politischen Rechte (BPR) festgehaltene Bestimmung, dass bei Abstimmungen und Wahlen nur die amtlichen Stimm- und Wahlzettel benützt werden dürfen und das Ausfüllen handschriftlich erfolgen muss (Art, Abs. 1 und 2 BPR).  Menschen mit Sehbeeinträchtigung sind nicht schreibunfähig, können sich aber nicht ohne Hilfe auf den Unterlagen orientieren. Dass sie heute eine Assistenzperson beiziehen müssen, um die Abstimmung- oder Wahlunterlagen auszufüllen, erfüllt den Tatbestand der Diskriminierung. Gleichzeitig verletzt dies Art. 5, Abs. 7 BPR, wonach das Stimmgeheimnis zu wahren ist.

Forderung des UNO-Ausschusses: Der UNO Ausschuss prangert in seinem Bericht den mangelnden Zugang zu Informationen über die öffentliche Politik und den Zugang zu Entscheidungsprozessen an und betont die eingeschränkten Möglichkeiten zur Beteiligung in allen Phasen dieser Prozesse. Der UNO-Ausschuss fordert „die Gewährleistung der Zugänglichkeit des Abstimmungsverfahrens für alle Menschen mit Behinderungen“.

Lösungswege: Dank e-Voting könnten die Vorgaben über die politischen Rechte der UNO-Behindertenrechtskonvention sowie des Bundes-Behindertengleich­stellungsgesetzes (BehiG) für Menschen mit Sehbeeinträchtigung grösstenteils erfüllt werden. Im Sinne von Art. 8, Abs. 2 der Schweizerischen Bundesverfassung muss deshalb so rasch wie möglich ein vollständig hindernisfreies E-Voting-System offiziell und ohne Einschränkung gesamtschweizerisch eingeführt werden.

Mit den vom SZBLIND entwickelten Abstimmungsschablonen können die politischen Rechte sehbehinderter Menschen in naher Zukunft punktuell verbessert werden, da so die Wahrung des Stimmgeheimnis bei nationalen Abstimmungen ermöglicht werden kann. Ein entsprechender politischer Vorstoss ist in den Nationalrat überwiesen worden.

Zugänglichkeit aller Bereiche des öffentlichen Lebens

Situationsanalyse: Die Organisationen des Blinden- und Sehbehindertenwesens stellen fest, dass im Bereich Zugänglichkeit im öffentlichen Raum, öffentlichen Verkehr, bei Dienstleistungen sowie im Bereich der Informationen und Kommunikation weitgehend ein koordiniertes Vorgehen fehlt. Die Umsetzung der BRK wird nicht konsequent verfolgt und es fehlt ein nationaler Aktionsplan. Im föderalistischen System der Schweiz gibt es grosse Unterschiede in der Umsetzung oder Auseinandersetzung mit der Thematik.

So endet bspw. die 20-jährige Umsetzungsfrist zur Herstellung der Barrierefreiheit von Bauten, Anlagen und Fahrzeugen im öffentlichen Verkehr mit der ernüchternden Feststellung, dass diese Frist nicht eingehalten werden kann.

Für private Anbieter von Dienstleistungen besteht keine Pflicht die Zugänglichkeit zu gewährleisten. So sind viele Internetseiten, Apps, elektronische Dokumente oder auch Automaten (Bankomaten, Billetteautomaten, …) für Menschen mit einer Sehbehinderung nicht zugänglich und autonom nutzbar.

Forderung des UNO-Ausschusses: Der UNO Bericht moniert „das Fehlen einer umfassenden Zugänglichkeitsstrategie zur Harmonisierung der Zugänglichkeitsverpflichtungen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene, zur Verankerung universeller Designstandards und zur Einbeziehung aller Zugänglichkeitsbereiche, einschließlich des öffentlichen Verkehrs, der Gebäude und Einrichtungen, der öffentlichen Räume, der Dienstleistungen, des Bauwesens sowie des physischen, des Informations-, des Kommunikations- und des digitalen Zugangs.“

Der UNO-Ausschuss sieht einen negativen Trend darin, dass die verstärkte Anwendung von EU-Normen niedrigere Anforderungen an die Zugänglichkeit festlegt und die Fähigkeit von Menschen mit Behinderungen und ihren Vertretungsorganisationen einschränkt, sich für ein höheres Mass an Verpflichtungen im Rahmen des Übereinkommens einzusetzen.

Dieses Vorgehen und Festhalten an EU-Normen wurde zuletzt am Beispiel des FV-Dosto praktiziert. Zum Leidwesen der betroffenen Menschen mit Sehbehinderung und Blindheit. Inclusion Handicap hatte dagegen beim Bundesgericht geklagt und es konnten auf dem Rechtsweg Verbesserungen erwirkt werden.

Zugänglichkeit von Kommunikation und Information

Situationsanalyse: Vor allem Menschen mit Hörsehbehinderung und Taubblindheit sind darauf angewiesen, Zugang zu alternativen Kommunikationsformaten und Kommunikationsassistentinnen und Assistenten zu haben, damit ein möglich selbständiges Leben gelingen kann. Insbesondere spätertaubte Taubblinde, für die die Gebärdensprache eine Fremdsprache bleibt, haben heute keine Finanzierungsmöglichkeiten für Schriftdolmetscher im nichtberuflichen Bereich (z.B für Arztbesuche, Abklärungen für Haushalthilfen usw).

Zur Zeit beruht der Zugang zu Kommunikation auf vielen freiwilligen Begleitpersonen. Auf diese haben Menschen mit Hörsehbehinderung und Taubblindheit allerdings keinen Anspruch. Und auch die Qualität der Begleitung ist sehr unterschiedlich, weil es keine Qualitätskontrolle gibt.

Auch für Menschen mit Sehbehinderung und Blindheit sind heute noch immer sind zahlreiche Websites (siehe Schweizer Accessibility-Studie Onlineshops) und Publikationen nicht barrierefrei. So mussten wir dies zuletzt bei der Veröffentlichung des OBSAN Berichts zu Hör- und Sehbeeinträchtigungen in der Schweiz feststellen, der leider nicht barrierefrei erstellt wurde.

Forderung des UNO-Ausschusses: Im Hinblick auf die Zugänglichkeit von Informationen betont der Ausschuss, es gelte genügend Mittel bereit zu stellen „für die Entwicklung, Förderung und Nutzung zugänglicher Kommunikationsformate wie Braille-Schrift, Dolmetscher für Taubblinde Menschen, Gebärdensprache, Einfache Sprache, Audiodeskription, Untertitel sowie taktile, unterstützende und alternative Kommunikationsmittel“.

Der UNO-Ausschuss mahnt explizit zur „zur Erleichterung des Zugangs blinder, sehbehinderter oder anderweitig lesebehinderter Personen zu veröffentlichten Werken und zur Verbesserung der Verfügbarkeit zugänglicher veröffentlichter Werke.“

Der UNO Ausschuss fordert von der Schweiz zudem die Entwicklung rechtsverbindlicher Informations- und Kommunikationsstandards auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene, um die Zugänglichkeit von Informationen für die Öffentlichkeit zu gewährleisten, auch bei öffentlichen Veranstaltungen und auf Websites, im Fernsehen und in den Medien.

Zugang zu Assistenz

Situationsanalyse: Ein ebenfalls aus Sicht des Sehbehindertenwesens wichtiges Thema ist der Zugang zu Assistenzleistungen. Die heute von der IV gewährte Assistenz kann die Bedürfnisse von Menschen mit einer Hörsehbehinderung und Taubblindheit nicht abdecken. Der zusätzliche Zeitbedarf in der Bewältigung des Alltags wird von der IV nicht berücksichtigt. Von den Krankenkassen sind in der Grundversicherung (KVG) keine Leistungen für Haushalthilfen vorgesehen. Nur wer genügend finanzielle Möglichkeiten hat, hat evtl. eine Zusatzversicherung (VVG), die Haushalthilfen abdeckt.

Zudem werden Begleitpersonen von den Ergänzungsleistungen nicht zurückvergütet. Nur Transportkosten zu ärztlichen Terminen werden von der Sozialversicherung anerkannt. Dass Menschen mit Hörsehbehinderung und Taubblindheit ohne Begleitperson evtl. gar nicht zum Arzt gehen kann, wird nicht berücksichtigt.

Forderung des UNO-Ausschusses: Hierzu hält der UNO-Ausschuss fest, dass eine Stärkung der persönlichen Assistenz und der Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen notwendig sei, „damit diese unabhängig in der Gemeinschaft leben können“.

Zugang zum Arbeitsmarkt

Situationsanalyse: Unter Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung herrscht generell eine höhere Erwerbslosigkeit und niedrigere Erwerbstätigkeit: Es braucht mehr angepasste Arbeitsstellen auch auf dem offenen Arbeitsmarkt, u.a. mit Hilfe einer Pflicht für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.

Dies stellt auch der UNO-Ausschuss fest. Er registriert mit Sorge, dass Menschen mit Behinderungen lediglich auf dem „geschützten Arbeitsmarkt“ mit sehr niedrigen Löhnen eine Chance hätten und begrenzte Möglichkeiten des Übergangs auf den offenen Arbeitsmarkt bestehen“.

Forderungen des UNO-Ausschusses: So fordert auch der UNO-Ausschuss die „Entwicklung und Umsetzung eines umfassenden Aktionsplans zur Harmonisierung der Zuständigkeiten von Bund und Kantonen, um den Übergang von Menschen mit Behinderungen vom „geschützten Arbeitsmarkt“ zum offenen Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor zu ermöglichen, mit gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit, in einem inklusiven Arbeitsumfeld und mit Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung“.

Es sollen Massnahmen ergriffen werden zur „Steigerung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem offenen Arbeitsmarkt, auch im privaten Sektor, durch geeignete politische Massnahmen wie Zielvorgaben, positive Aktionsprogramme und Anreize“.

Zugang zu Bildung

Situationsanalyse: Die Organisationen des Schweizer Sehbehindertenwesens halten fest, dass das Bildungssystem noch längst nicht inklusiv ist. Der Föderalismus wird als grösste Herausforderung gesehen, da die Kantone im Bildungsbereich sehr unterschiedlich unterwegs sind. Heute tragen Kantone mit einer spezialisierten Schule und / oder einem ambulanten Angebot für die Unterstützung der Lernenden der Inklusion besser Rechnung. Aber es ist immer noch Zufall, ob ein Kind umfassende Chancen auf inklusive Bildung erhält. Wenn Schülerinnen und Schüler in der Regelschule integriert werden, müssen sie vieles neben der Schule lernen, was andere Kinder nicht müssen: Umgang mit der IT, Lebenspraktischen Fähigkeiten, Orientierung und Mobilität, Umgang mit ihren Hilfsmitteln, ggf. Braille. Dieses vielfältige Zusatz-Lernen wird heute vom System nicht berücksichtigt oder einkalkuliert, belastet die Kinder zusätzlich (Zeit und Energie) oder kann nicht ermöglicht werden.

Forderungen des UNO-Ausschusses: Das Sehbehindertenwesen der Schweiz begrüsst daher die Forderung des UNO-Ausschusses nach „Einführung eines verfassungsmässigen Rechts auf inklusive Bildung und Entwicklung einer umfassenden Strategie für die Umsetzung einer qualitativ hochstehenden, inklusiven Bildung für alle Kinder mit Behinderungen […] mit spezifischen Zielvorgaben, Zeitplänen, Budgets, dem Transfer von Ressourcen aus Sonderschulen sowie inklusiven Lehrplänen und Lehrerqualifikationen auf Bundes- und Kantonsebene“.