Sektion St. Luzius

Wieder einmal Reiselust!

Die letzten Rückblicke 2013 führen uns ins Piemont, genauer nach Alba und Umgebung, wo unsere rund 20-köpfige Reisegesellschaft zwischen dem 1. und 7. September ein paar herrliche Tage verbrachte. Das Mittelklassehotel, in dem wir logierten, das Savona, liegt ideal zur Altstadt hin von Alba, so dass an den milden Spätsommerabenden nie Langeweile herrschte. Vielfältig die Eindrücke auch tagsüber bei unsern Ausflügen und Besichtigungen. Ein Jahr zuvor während des Rekognoszierens der Tour hatte sich der Kontakt zu Teresa Uhlmann ergeben, einer Schweizerin, die seit über zwanzig Jahren hier in der Gegend lebt und heute im Bereich des Tourismus tätig ist. Jetzt begleitete sie uns als Uebersetzerin auf unsern Ausfahrten, unterstützte Reiseleiterin Annigna, wenn es einmal galt, kurzfristig etwas zu improvisieren, und selbst unser Carchauffeur profitierte hin und wieder von ihren Strassenkenntnissen bei der Wahl der am wenigsten schmalen Route durch die sanfte Hügellandschaft des Monferrato und der Langhe. Rebhänge, wo man hinblickt. Aber ebenso wenig zu übersehen die Aecker und Wiesen, die Sonnenblumenfelder, Haselnussplantagen und Obstgärten; dazwischen eingebettet eine Vielzahl romanischer Burgen, Kirchen und Klöster. Wein und gutes Essen spielen in dieser Region eine unvergleichliche Rolle. Die piemontesische Küche ist bodenständig und raffiniert, üppig und fein zugleich. Wohl beliebteste unter der ausgezeichneten hausgemachten Pasta sind die dünnen Tagliarini („i tajarin“), zubereitet in einer sahnig cremigen Käsesauce, mit Trüffel oder Steinpilzen serviert. Ganz im Zeichen der Culinaria standen denn auch zwei unserer Betriebsbesichtigungen.

Aus dem Reiseprogramm

Bereits am Sonntag, auf der Hinfahrt nach Alba, legten wir in Livorno Ferraris einen Zwischenhalt ein und besuchten dort die Reisfarm „Colombara“. Mit seinem freundlichen Auftreten und guten Einfühlungsvermögen gelang es Andrea vorzüglich, uns auf dem Rundgang durch das Gehöft viel Wissenswertes über den wichtigen Hungerstiller Reis zu vermitteln: Die Grundvoraussetzungen für dessen Gedeihen, die verschiedenen Prozesse der Bearbeitung und Verfeinerung. Dazu liess er uns Reisähren betasten, gab uns Reiskörner aus den diversen Verarbeitungsstufen in die Hand. Natürlich ist auch auf der Tenuta Colombara die Zeit nicht stehen geblieben und mancher Vorgang längst automatisiert worden. Mit den erstklassigen Qualitätsmarken Carnaroli und Baldo beliefert man vor allem Restaurants und Delikatessgeschäfte.

So ziemlich ähnlich, was letzteres betrifft, ergeht es auch der Azienda, bei der wir am Montagvormittag hereinschauen durften; bloss, dass sich hier alles um Pasta dreht. „Frische Eier, Hartweizenmehl und Wasser“ verriet uns Daniela die Hauptzutaten dafür – mit der Beteuerung, dass bei der Monfortina vieles noch nach traditionellen Rezepten hergestellt werde. Wirklich interessant, mal so eine Teigzuschneidemaschine im Detail erklärt zu erhalten und im Trockenraum einen konkreten Eindruck von den grossen Sieben zu bekommen, auf denen hier hauptsächlich die berühmten Tagliarini in ihren erlesenen Geschmacksvariationen allmählich vor sich hin lufttrocknen.

Die Einkaufsmöglichkeit am Schluss der Führung wurde rege genutzt.

Dann, am Nachmittag zeigte uns Teresa einige der schönsten Ecken und Sehenswürdigkeiten im alten Alba.

Erste Ausflüge

Ziel unserer Ausfahrt am Dienstag: Castelnuovo / Colle Don Bosco. „Don Bosco …

war das nicht dieser Priester, der sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts ganz im Besonderen um Strassenkinder kümmerte?“ „Ja, und später auch noch einen Orden gründete, die Salesianer Don Boscos.“ 1841, im Alter von 26 Jahren zum Priester geweiht, wirkte er schon bald in Turin, wo er sich in der Folge mit gezielten Programmen vor allem für arme und verlassene Jugendliche engagierte. Aufgrund all seiner Verdienste wurde Giovanni Melchiorre Bosco 1934 von Papst Pius xi. heilig gesprochen; er geniesst noch heute grosse Verehrung. Entsprechend präsentiert sich die Wallfahrtsstätte mit der imposanten Basilika Don Bosco als Mittelpunkt und dem erhalten gebliebenen Geburtshaus des Heiligen. Ferner befinden sich auf dem weiträumigen Gelände zwei Museen und der mächtige Komplex des Salesianer- Instituts, zu dem auch die kleine Chiesa di Sta Maria ausiliatrice gehört. Hier, im Kirchlein Mariahilf, feierten wir zusammen mit einem Priester des Zentrums Eucharistie. Den Organisten hatten wir selber mitgebracht: Daniel Burri, ein Mitglied unserer Sektion. Nach dem Gottesdienst blieb ausreichend Zeit zur individuellen Besichtigung der zweistöckigen Basilika und einem Rundgang auf der sie umgebenden Anlage.

Das anschliessende Mittagessen im Ristorante Mamma Margherita war ausgezeichnet – und nicht minder willkommen die darauf folgende Verdauungsfahrt. Diese endete in Diano d’Alba vor dem stattlichn Weingut „Cascina rossa“, dessen Name auf die auffallend roten Ziegeldächer zurückgeht. Die Familie Veglio betreibt die Azienda in der vierten Generation. Doch erst vor ca. 15 Jahren entschied man sich, von der ursprünglichen Kombination Acker- /Rebbau ganz auf Vitikultur umzustellen. Aus dem einstigen Stall wurde ein Weinkeller, auf dem ehemaligen Heuboden ein familieneigenes Museum eingerichtet. Letzteres beherbergt ein erstaunliches Sammelsurium an Gebrauchsgegenständen, Werkzeugen, Apparaturen und Gerätschaften, wie sie noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Haushalt, Wein- und Ackerbau, im Strassenverkehr und Transportwesen den Alltag prägten. Marco Veglio erläuterte dies, erklärte das, Teresa übersetzte … bis wir – vorbei an der Ahnengallerie – schliesslich in den angenehm kühlen Kellern landeten.

„Vom Weinberg in den Keller“, so könnte das in Deutsch gesprochene Video heissen, das uns nun in wenigen Minuten über die Winzertätigkeiten eines ganzen Jahres erzählte. Drauf wurden wir zu Tisch gebeten, um zu feinen piemontesischen Häppchen den kraftvoll fruchtigen Barbera, den ausdruckstarken, etwas tanninreicheren Nebbiolo und den König der hiesigen Weine, den Barolo, zu degustieren. „Alla salute!“

Anderntags: Der Ausflug an die ligurische Küste. Für einmal keine Führung, kein Vortrag; einfach geniessen. Teresa hatte uns das Städtchen Noli empfohlen, direkt am Meer gelegen, mit einer schönen Strandpromenade und vielen malerischen Gässchen im alten Teil. Und weil sich auch ihr Restauranttipp als Volltreffer erwies, verbrachten wir ein paar rundum lockere Stunden im heiteren Ambiente der Riviera.

Erlebnis über Erlebnis

Wenn sich jemand in unserer Gruppe ganz besonders auf Donnerstag freute, so war dies gewiss unser Musicus Daniel. Wir gingen auf Besuch zu Vegezzi-Bossi, einem der bedeutendsten italienischen Unternehmen für die Konstruktion und Restaurierung von Kirchenorgeln. „Es gibt zwar immer weniger Aufträge für den Bau neuer Instrumente“, leitete der Firmenchef persönlich seine Ausführungen ein, „doch viele alte Orgeln, die restauriert werden müssen.“ Dies passiert unter anderem hier in den bestens ausgerüsteten Werkstätten zu Centallo, in denen durchschnittlich zwischen

7 bis 10 handwerklich geschulte Fachleute – was sehr oft nötig ist – Meisterleistungen

vollbringen. Anhand einer zu überholenden Orgel erklärte uns Signor Vegezzi-Bossi das Wichtigste von deren Innenleben. Er sprach von Manual, Register und Traktur, von Labial- und Lingualpfeifen … Schlichtweg eine Ueberforderung, an dieser Stelle all seine Darlegungen im Detail wiedergeben zu wollen. Uns selber erwartete nach soviel gebotenem Fachwissen auch noch konzertante Virtuosität. Dazu begaben wir uns in die nahegelegene Chiesa della santissima trinità, in welcher die Musikstudentinnen und -studenten des Konservatoriums von Cuneo ihre praktische Orgelausbildung erhalten. Nicht weniger als drei Orgeln befinden sich darin. Vor der Grössten, Baujahr 2007 und aus dem Hause Vegezzi- Bossi, begrüsste uns Signor Luca Rotto, der Hauptorganist. Wie in der vorangegangenen „Lektion“ gelernt, hat eine Orgel mehrere Pfeifenreihen, bestehend jeweils aus Orgelpfeifen gleicher Bauart und Klangfarbe. Eine Pfeifenreihe wiederum wird zu einem Register zusammengefasst, das vom Spieltisch aus an- und abgeschaltet werden kann. Signor Rotto demonstrierte das mit ein paar kurzen Beispielen. Drauf aber liess er die Orgel sich voll entfalten; man merkte bald, hier wirkte ein Meister seines Fachs, aber auch ein Meister im Umgang mit blinden Menschen, wie es schien. Ein gezieltes Orientieren an der Orgel, rasch noch das gewünschte Register gewählt, und schon glitten die Hände von Daniel über die Klaviatur. Er freute sich riesig, an dieser Orgel spielen zu dürfen.

Ein Erlebnis ganz anderer Art bescherte uns der Nachmittag. Erst wenige Tage vor der Reise ins Piemont war unsere Präsidentin Karin Oertle bei einem Internet-Spaziergang auf die Meldung gestossen, Cuneo habe als erste Stadt Italiens einen blinden Bürgermeister: Dr. Federico Borgna, Jahrgang 1975. Da die Gemeinde Centallo direkt an die Stadt Cuneo angrenzt, mailte sie ihm schnell entschlossen, ob er eventuell etwas Zeit für ein kurzes Treffen mit uns erübrigen könnte. Er bat uns ebenso spontan, zu ihm ins Rathaus nach Cuneo zu kommen, und so fanden wir uns gegen 15 Uhr dort ein, im grossen Ratssaal notabene. Dottore Borgna wirkte sympathisch, locker, liess uns seine Freude über diese Begegnung spüren. Im Verlaufe des Gesprächs erzählte er uns, dass er damals bei den Wahlen 2010 nie gedacht hätte, gewählt zu werden. Heute jedoch kämen immer wieder Bürgermeister anderer Städte zu ihm, um sich mit ihm über schwierige Dossiers zu beraten. Manche Entscheide könnten gefällt werden, auch ohne dass man mit den Augen sehe. Aeusserst wichtig für uns Blinde und Sehbehinderte sei aber, dass wir unsere elektronischen Hilfsmittel gut beherrschten, um so am Puls der Zeit und des Geschehens zu bleiben. Er, als Juve-Fan, sagte natürlich: „Am Ball!“

Karin informierte Signor Sindaco, dass auch wir im Kt. Tessin einen hohen Politiker haben, der blind ist, nämlich Regierungsrat Manuele Bertoli. Ob derlei Gedankenaustausch verflog die reservierte Zeit im Handumdreh’n; Dottore Borgna erwartete bereits eine nächste Sitzung, uns die Rückfahrt nach Alba.

Freitag, nochmals ein Bilderbuchtag, mit bleibenden Erinnerungen an den schönen Ausflug nach Revello. Dort war im Laufe des 12. Jahrhunderts eine bedeutende Abtei ursprünglich der Zisterzienser entstanden, l’Abbazia di Staffarda. Obwohl seit langem verwaist, ist die romanisch-gotische Klosteranlage nach wie vor ein Touristenmagnet. Auch das Vorbereitungsteam dieser Reise zeigte sich von der dreischiffigen Kirche derart angetan, dass rasch feststand, wo wir unsern zweiten Gottesdienst abhalten wollten. Karin und Britta gestalteten ihn. Zugegeben, unser Gesang mag wohl etwas gar dünn geklungen haben in den weiten hohen Gewölben; dem guten Gefühl der Gemeinschaft tat dies indess keinen Abbruch. In Gedanken darin mit eingeschlossen auch all jene Sektionsmitglieder, die aus den verschiedensten Gründen nicht hatten mitkommen können. Der Aufenthalt hier hätte ihnen bestimmt ebenfalls gefallen. Ausser der Kirche lassen sich noch der Kreuzgang, das Refektorium, eine grosse Werkstatt und der Kapitelsaal besichtigen. Auf den Rundgang wird den Besuchern auf Wunsch ein Audioguide mitgegeben, ein einfach zu bedienendes Abhörgerät, das auf Knopfdruck jeweils Auskunft gibt über die Sehenswürdigkeiten in den einzelnen Gebäuden – auch in Deutsch. So konnten es unsere Begleitpersonen mit erklären für einmal etwas gelassener nehmen. Die Stille in den altehrwürdigen Mauern tat gut, aber ebenso die wärmende Sonne, als wir uns gegen zwölf Uhr allmählich im Klosterhof vor dem Ristorante einfanden.

Später, auf der Rückfahrt, mochten wohl bei vielen schon Gedanken an den wiederkehrenden Alltag aufkeimen. Die Organisatoren jedoch hatten ein fröhliches Finale programmiert: Nochmals eine Weindegustation. Zwar ist l’Azienda agricola Monfalletto oberhalb von La Morra gleichfalls ein Familienunternehmen, freilich eines mit etwas vornehmerer Atmosphäre, in weltmännischerem Stil, mit Exporten in vieler Herren Länder. Obwohl die Wurzeln des Weinguts bis ins 14. Jahrhundert zurückreichen, blieb dieses über all die Zeit stets in derselben Familie. 16 generationenlang hiess diese Falletti; entsprechend heisst die Anhöhe, auf der das Anwesen liegt, Mon Falletto, Berg der Falletti. Praktisch das gesamte Rebgebiet der Firma dehnt sich an diesen sonnen-verwöhnten Hängen aus auf Böden, die für den Anbau der hier traditionellen lokalen Traubensorten extra besonders geeignet sind. Vor drei Generationen dann erfolgte ein Namenswechsel der Besitzer, nachdem ein Cordero di Montezemolo in die Familie Falletti eingeheiratet hatte. Elena, eine Tochter aus der aktuellen Besitzerfamilie, uebernahm es, uns durch die Gebäulichkeiten aus Tradition und Moderne zu lotsen. Versiert erklärte sie Lagerhaltung und -dauer der verschiedenen Weine bis zu deren Abfüllung in Flaschen, wies hin auf Qualitätsvorschriften und -unterschiede. Schliesslich endete die Führung aber nicht im Keller, sondern im Obergeschoss des Hauses. Im Degustationsraum von Monfalletto sollen nämlich gleich zwei Sinne auf einmal verwöhnt werden: Erstens der Gaumen bei ein paar Kostproben herausragender Weine, zweitens die Augen mit einer zauberhaften Aussicht ringsum bis weit hinaus in die fruchtbare liebliche Landschaft.

Zurück im Hotel, Abend des Abschieds bei Pizza, Focaccia und irgendeinem Gläschen; Abschied von Teresa, deren Uebersetzungen und Beschreibungen mithalfen, uns die Region und ihren freundlichen Menschenschlag etwas näher zu bringen; Abschied von Alba, wo wir des Abends in den Gassen bummelten, in einem Strassenrestaurant sitzend diskutierten, lachten. Alba heisst übrigens auf Deutsch Morgendämmerung, poetisch Morgenröte. Da hatte doch, wenn ich den ersten Teil des vorliegenden Berichts noch einmal überfliege, die Sektion St. Luzius genau das passende Reiseziel gewählt. Also denn, Avanti!

Rolando Donada, Aktuar Sektion St. Luzius