Leben und Wirken einer Visionärin

Bildbeschreibung: Bingen am Rhein

Bildbeschreibung: Bingen am Rhein

Kulturreise vom 5. – 8. Oktober 2023
Ein Reisebericht

19 sehbehinderte und blinde Männer und Frauen folgen der Einladung und profitieren vom gemeinsamen Jubiläumsangebot der beiden befreundeten Organisationen, der CAB und der Behindertenseelsorge Zürich. Zusammen mit sehenden Begleitpersonen, dem Chauffeur Urs und seiner Gattin Silvia sowie uns Leiterinnen waren wir eine beachtliche Gruppe von 40 Personen, die sich gemeinsam auf den Weg in eines der schönsten Weingebiete Europas machte, um sich dort 5 Tage lang intensiv mit der vielseitigen Hildegard von Bingen zu beschäftigen. Hildegard die Visionärin, Prophetin, Heilsbotschafterin, Naturheilkundlerin und Komponistin.

Unser Ausgangspunkt

Therme Bad Kreuznach

In Bad Kreuznach angekommen stehen wir vor dem prunkvollen, im Jugendstil erbauten Parkhotel aus dem Jahr 1913. Was für ein Glück, in einem solchen Haus wohnen zu dürfen. Schon das Foyer mit seinen riesigen Kronleuchtern, den edlen, blauen Samtsesseln und der schmucken Bibliothek haben uns tief beeindruckt. Das Haus war sowohl im ersten wie auch im zweiten Weltkrieg ein wichtiger politischer Schauplatz mit internationaler Reichweite. So diente es zuerst als kaiserliches Hauptquartier, während rund 40 Jahre später genau an diesem Ort ein international aufsehenerregendes Treffen zwischen Charles de Gaulle und Konrad Adenauer stattfand. Wieder Jahre später besiegelten Helmut Kohl und François Mitterrand die deutsch-französische Freundschaft im Parkhotel.

Gruppe von hinten mit orangen Westen auf dem Spaziergang durch Bad Kreuznach
Spaziergang durch Bad Kreuznach

An diesem ersten Abend begaben wir uns gemeinsam auf einen Spaziergang durch das zauberhafte Städtchen Bad Kreuznach. Was für ein Privileg für mich und ein Riesenglück für uns alle, Tanja Haas als Co-Leiterin mit dabei zu haben. Sie ist in dieser Gegend aufgewachsen und weiss so vieles zu berichten, was wir wohl ohne sie nie erfahren hätten.

Bad Kreuznach, rund 40 km von Mainz gelegen, ist nicht nur berühmt für seine Bäder, sondern auch für seine einzigartigen Brückenhäuser. Die Stadt gibt sehr viel Geld aus, um diese schmucken Häuschen aus dem 16. Jahrhundert zu erhalten. Wie so viele deutsche Städte hat auch Bad Kreuznach imposante Stadtkirchen. In der rosafarbenen Pauluskirche soll Karl Marx 1843 seiner Jenny das Ja Wort gegeben haben. Erwähnenswert ist auch das Fausthaus an der «Magister-Faust-Gasse». Die Zeiten waren unruhig, als der berühmte Magier, Magister, Alchimist und Sterndeuter Dr. Faustus dort gewohnt haben soll. Es war die Zeit der Reformation, Martin Luther und der Bauernkriege. Goethes „Fausttragödie“ ging als (wörtlich-) „tiefsinnigste und bedeutendste Dichtung der deutschen Sprache in die Literaturgeschichte ein“.

Auf den Spuren der Heiligen Hildegard (1098-1179)

Unser zweiter Reisetag, der Freitag, galt der jungen Hildegard, die als 14-jähriges Mädchen unter der Obhut der Heiligen Jutta von Sponheim in das Kloster auf dem Disibodenberg eintrat. Wir besuchten die gut erhaltene Ruine der riesigen Klosteranlage und genossen die bunt gefärbten Herbstwälder. Die Aussicht vom Disibodenberg über die riesigen Weinbaugebiete in der Nahe Ebene war schlicht spektakulär. In der kleinen Hildegardkapelle stimmte die Gruppe spontan das Lied „Dona nobis pacem“ an. Die Akustik in diesem kleinen, runden Gebäude eignete sich hervorragend für den Gesang – ein Hühnerhautmoment.

CAB Präsidentin Ruth Häuptli, Karin Oertle und CAB Vorstandsmitglied Daniel Burri

Nach einem herrlichen Imbiss draussen an der Sonne entschieden sich die Allermeisten für die Pilgerroute und wanderten vom Disibodenberg rund 1 1/2 Std. nach Bad Sobernheim. Ein paar Teilnehmende bevorzugten eine frühere Rückreise mit dem Car und profitierten von den Thermen. Am Abend fuhren wir nach Rüdesheim an der Nahe.

Winzer Thomas Emmerich

Der Winzer Thomas Emmerich persönlich führte uns durch seine besten Weine und liess sie uns degustieren. Das anschliessende Abendessen im stimmungsvollen Pavillon schmeckte vorzüglich. Die musikalischen Beiträge von Daniel Burri (Klavier) und Simone Speck (Panflöte) umrahmten den Abend und sorgten  mächtig für Stimmung.

Daniel kam so richtig in Fahrt und spielte unseren deutschen Gastgebern Schweizer Evergreens vor, welche sogar unserer Präsidentin einen Jodel entlockten. Ein geselliger, harmonischer Abend ging zu Ende.

Am dritten Tag besuchten wir Bingen, das mediterran anmutende Städtchen am Rheinknie, umgeben von Weinbergen soweit das Auge reicht. Den Vormittag verbrachten wir im Hildegard Forum auf dem Rochusberg. Ich glaube, wir alle waren uns einig: der Vortrag von Schwester Ancilla Maria gilt als absolutes Highlight dieser Reise. Die betagte Schwester wusste so viel Interessantes zu erzählen und spannte mit viel Weisheit immer wieder einen Bogen in unsere sogenannt moderne Zeit. Die Teilnehmenden klebten förmlich an ihren Lippen und wollten sie gar nicht mehr gehen lassen. Einige folgten ihr, um ihr noch die eine oder andere Frage zu stellen oder eine Weisheit zu entlocken. Aufgrund des riesigen Interesses stellte uns Schwester Ancilla Maria ihren Vortrag in schriftlicher Form zur Verfügung. Sie können ihn hier als PDF herunterladen.

Mit diesen bedeutsamen Worten schloss Schwester Ancilla Maria ihren Vortrag: «Wenn die Freude nicht nur an der Oberfläche unseres Fühlens ist, sondern Herz und Leber durchdringt, dann ist das für unsere Gesundheit gut, dann fühlen wir uns heil. Deshalb sollten wir versuchen, uns ganz der Freude zu öffnen und unsere Seele, unser Herz und unser ganzes Sein von ihr durchdringen zu lassen.»

«Die Seele liebt ihren Leib und hält ihn für ein schönes Gewand und eine erfreuliche Zier.»
Hildegard von Bingen

Das Mittagessen auf dem Rochusberg schmeckte ausgezeichnet. Das Institut kocht nach Hildegard und beschäftigt im Service wie in der Küche Menschen mit einer Behinderung. Nach dem Essen blieb noch etwas Zeit für den kleinen, aber feinen Klosterladen. Wir deckten uns ein mit Nervenguetzli, spannenden Büchern, Gewürzen, Kerzen und vielem mehr.

Ausblick auf Weinberge
Garten Museum am Strom

Am Nachmittag besuchten wir das Hildegard Museum am Strom an der Rheinpromenade. Wir teilten uns in zwei Gruppen auf. Die eine begann im Museum, wo Hildegard als Visionärin und Musikerin im Fokus stand, die andere Gruppe besuchte in dieser Zeit den Kräutergarten.

Am Abend blieb noch etwas Zeit für Wellness, sei es in den Thermen, dem Kneippbad oder Europas grösster Freiluftinhalationsanlage. Die Sole Sprühanlage direkt neben dem Hotel enthält mehr als 17 wertvolle Mineralsalze.

Am Sonntag überquerten wir den Rhein mit der Fähre und verbrachten den Tag in Eibingen. Wir besuchten die heutige Hildegard Abtei hoch über Eibingen, bevor wir zur Wallfahrtskirche hinunterfuhren, wo Hildegards Schrein aufbewahrt ist. Das Mittagessen nahmen wir individuell im touristischen Städtchen Rüdesheim ein. Einige liessen sich nicht davon abhalten, mindestens einmal die berühmt berüchtigte «Drosselgasse» zu durchlaufen.

Nach unserem letzten Abendessen im Hotel trafen wir uns im prächtigen Saal zu unserer Schlussrunde. Alle, die das Bedürfnis hatten, durften sich äussern. Ganz am Schluss wurde die mit Spannung erwartete Preisverleihung unserer 20 Quizfragen durchgeführt. Zu gewinnen gab es Spezialitäten aus der Region wie zum Beispiel eine kleine Flasche Wein, Hildegard Gewürz und natürlich die legendären Nervenguetzli.

Relief Dom von Speyer
Das Relief am Dom von Speyer

Auf der Heimfahrt machten wir Halt in Speyer und besuchten wahlweise den riesigen Dom oder den historischen Judenhof mit seinem gut erhaltenen Ritualbad aus dem frühen Mittelalter.

Wir beiden Leiterinnen, Tanja Haas und ich sind uns einig, die Reisevorbereitungen haben sich mehr als gelohnt. Wir konnten alles planmässig durchführen und dies ohne gravierende Zwischenfälle. Bei so einer grossen Gruppe (wir waren immerhin 40 Personen) ist dies alles andere als selbstverständlich.

die beiden Leiterinnen Andrea Vetsch und Tanja Haas
Andrea Vetsch und Tanja Haas (von links)

Bericht und Bilder: Andrea Vetsch